Die Afrikanische

Die Afri­ka­ni­sche Straße erzählt viele Geschich­ten. Der Platz in ihrer Mitte, dem es in seiner Weit­läu­fig­keit nicht so recht gelingt, die Birken­wäld­chen am einen und ande­ren Ende wirk­lich zusam­men­zu­schlie­ßen, führt seinen Namen nicht nach dem Vogel, der so schön und mehr­stro­phig singt, sondern nach Gustav Nach­ti­gal: ein Mili­tär­arzt, wie soll ich ihn sonst noch nennen?
Afri­ka­for­scher, sagt der Brock­haus. Da sind auch unfreund­li­chere Bezeich­nun­gen möglich. Als Bismarcks Kommis­sar zwang er den guinei­schen Häupt­lin­gen “Schutz­ver­träge” ab und machte Kolo­nien für das verspä­tete Welt­macht-Deutsch­land. “Dauer­ko­lo­nie Togo e.V.”, der Schre­ber­gar­ten­name, der hier ange­schrie­ben ist und eine Idylle benennt, die sich zwischen den Wohn­blö­cken zur Müllerstraße hinzieht, hört sich für mich wie Ironie an, aber wie für den Gast­freund aus Lomé?
“Von den aller­ers­ten Anfän­gen deut­scher Kolo­ni­al­po­li­tik an ist in barba­ri­scher Weise auf Neger losge­prü­gelt worden”, so Gustav Noske, SPD. Später Reichs­wehr­mi­nis­ter, bis heute eine Gestalt, über die nicht nur Sozi­al­de­mo­kra­ten ins Grübeln gera­ten. Eine verschlun­gene Geschichte gäbe das. Das Reden in der Oppo­si­tion und das Tun der Regie­rung, nicht in Deckung zu brin­gen. Und während ich Noske denke, denke ich auch Ebert. Nach Fried­rich Ebert heißt die Sied­lung, das städ­te­bau­li­che Ensem­ble, mit dem die Afrik­an­si­che Straße beginnt oder endet. Für mich endet sie heute dort, an der Müllerstraße, denn ich komme von der Amru­mer Straße herauf. Ich will mir nicht die Geschichte erzäh­len, die die afri­ka­ni­schen Namen dieser Stra­ßen erzäh­len: Das war doch insge­samt Ironie, die Herr­schen­den nann­ten ihre inlän­di­schen Kolo­nien nach ihren auslän­di­schen, die Unter­wor­fe­nen haben es bis heute nicht bemerkt. Auch Fried­rich Ebert will ich ruhen lassen bei den Schat­ten; die Gedenk­platte oben neben dem “1. Pres­se­cen­ter in Wedding” sieht ohne­hin aus wie ein Grab­mal, von Süden wie eine Mauer: eine Mauer gegen die Erin­ne­rung. Die Afri­ka­ni­sche Straße ist eine Straße des Wohnungs­baus. EinLehr­pfad. Er führt durch verschie­dene Geschichts­epo­chen des moder­nen, man kann beinahe sagen: demo­kra­ti­schen “Massen­woh­nungs­baus” in Berlin.

Wenn man von Osten kommt, beginnt die Afri­ka­ni­sche mit Fried­hö­fen und Gräbern. Wie oft bin ich in West­ber­li­ner Zeiten durch die Seestraße gefah­ren, meis­tens kam ich aus Zehlen­dorf und wollte in die SPD-Zentrale und fast jedes­mal habe ich gedacht: Wie laut haben es die Toten hier. Es ist mit der Zeit hier noch lauter gewor­den. Auto an Auto und die Flug­zeuge nach Tegel ziem­lich dicht über den Dächern. Aber seit ich Norbert Elias’ eindrucks­vol­len Essay über die Einsam­keit der Ster­ben­den gele­sen habe, empfinde ich den Stra­ßen­lärm in der Nähe von Fried­hö­fen im Gegen­teil als beru­hi­gende Leben­dig­keits­ver­si­che­rung.
Gleich nach den Fried­hö­fen, zwischen vier afri­ka­ni­schen Stra­ßen, der “Kolo­nie Kame­run” gegen­über, und vor allem gegen­über sich auftür­men­den Wohnungs­blocks aus der zwei­ten Nach­kriegs­zeit, die wie Burgen daste­hen, von der Straße zurück­ge­setzt, die Straße sozu­sa­gen demen­tie­rend, liegen vier drei­ge­schos­sige Wohn­blocks, direkt auf die Straße bezo­gen, auf die Stra­ßen­ecken sogar, denn von den Drei­ge­schos­sern geht — durch abge­run­dete Schar­nier­bal­kone mit ihnen verbun­den — zwei­ge­schos­sige Seiten­flü­gel ab, in jene Seiten­stra­ßen, die bald ins Vorstäd­tisch-Eigen­heim­li­che über­ge­hen, ehe sie an den Rehber­gen land­schaft­lich enden.
Die Fassa­den dieser vier Wohn­blocks sind durch die geome­tri­sche Fens­ter­an­ord­nung geglie­dert, sonst schmuck­los: “Neue Sach­lich­keit” nannte man das. Da ist das Blau der Türen schon viel und die zurück­hal­tende Ocker­far­big­keit, die nun im Staub gräu­lich verschmutzt.

Man kann auch im Rücken der Häuser entlang­ge­hen, einen Weg über die ruhi­gen Höfe, auf die aus den Häusern schmale und eben­falls blaue Türen führen. Die Forsy­thien knos­pen schon. Diese Häuser stel­len die einzi­gen größe­ren Bauwerke dar, die der berühmte Lugwig Mies van der Rohe (Neue Natio­nal­ga­le­rie) in den 20er Jahren in Berlin gebaut hat, 1926 bis 1927.
Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Baupo­li­tik war die Grund­lage. Als diese Bauten fertig waren, dauerte es nur noch zwei Jahre, bis in dersel­ben Straße, wie gesagt: weiter oben, in Müllerstra­ßen-Nähe ein ande­res denk­wür­di­ges Städ­te­bau­werk begon­nen und 1931 been­det wird. Eben diese Fried­rich-Ebert-Sied­lung, der ich nun — immer die Afri­ka­ni­sche entlang, ihren elegan­ten Biegun­gen folgend — mich nähere; als ich da bin, durch das verspä­tete “Torhaus” am nörd­li­chen Nach­ti­gal­platz in die Togo­straße einschwen­kend, habe ich schon andere Wohn­blocks aus ande­ren Zeiten hinter mir, die die Archi­tek­tur-Bücher weni­ger schät­zen als die Ensem­bles, die ich jetzt durch Stra­ßen und Hofzei­len durch­wan­dere: ein eige­ner Stadt­teil, zwischen Togo- und Müllerstraße von den verdien­ten Berlin-Archi­tek­ten Mebes und Emme­rich, zwischen Togo- und Wind­huker Straße von dem welt­be­rühm­ten Bruno Taut, der die Farbe in die Archi­tek­tur gebracht hat.
Davon sieht man nicht mehr viel. In der zwei­ten Nach­kriegs­zeit hat man wenig Rück­sicht auf diese Tradi­tion genom­men. Heute tritt sie an vielen Stel­len in Berlin wieder hervor. Hier noch nicht. Muss auch nicht. Der Denk­mal­schutz ist nicht das Maß der Dinge. Es muss nicht alles werden, wie’s mal war. Die Afri­ka­ni­sche Straße kann man hier fast verges­sen. Der berühmte Bebau­ungs­plan konter­ka­riert die diago­nale Straße, die Häuser wenden sich von der Straße ab, sie wollen Ruhe herstel­len, kann man sagen: Klein­stadt in der Groß­stadt.
Wann man das Mebes gesagt hätte, hätte er gesagt: “Quatsch. Mir ging es um Ost-West-Belich­tung”. “Ost-West-Belich­tung”, denke ich, als wäre es ein Ausdruck mit Hinter­sinn, während ich die Häuser der Wohnungs­bau­ge­sell­schaft Eintracht — der Name des ursprüng­li­chen Bauherrn ist noch da, wieder da — hinter mir lasse und an der Station Afri­ka­ni­sche Straße in den Unter­grund verschwinde.

Aus: Spazier­gänge in Berlin (1990er Jahre)

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