Vor zwei Monaten hatte ich ja von Gesprächen mit zwei jungen Absolventen der Axel-Springer-Akademie berichtet. Zusammen mit anderen Studenten haben sie nun ihr Projekt zur Oranienstraße in Kreuzberg fertiggestellt. Herausgekommen ist ein erstaunlich interessanter Blick auf die Geschichte und Gegenwart der Straße. In Dutzenden von Video- und Textbeiträgen wurde ein wirklich tolles Bild dieser Straße gezeichnet. Das folgt keiner Chronologie, sondern man klickt sich durch die Themen und bleibt unweigerlich ständig an Videos hängen, die man nun gerade nicht gesucht hatte. Das ist aber kein Nachteil, sondern macht es spannender.
Thematisch haben die Jungjournalisten weit ausgeholt. Vom 19. Jahrhundert mit dem Luisenstädtischen Kanal geht’s los, die Zeit der Autobahnplanung, der Hausbesetzungen in den 1980ern und dann natürlich die Oranienstraße heute. Dazu gibt es viele kurze Interviews, in denen Menschen zu ihrem Leben und Arbeiten rund um den Kiez befragt werden. Andere beschreiben Ihre Wünsche, wie sich die Straße ändern sollte.
Da ist die alte Dame, die ihre Zeit als Kind direkt nach dem Krieg beschreibt. Der türkische Sozialarbeiter (den ich selbst noch vor 30 Jahren als Jugendlichen kannte). Der Blick in’s Café Luzia, das früher eine Leiser-Filiale war: In dem Beitrag wird der Leiser-Enkel aus Israel per Video zum Gespräch dazu geschaltet. Die Erinnerungen einstiger Hausbesetzer und eines Polizisten. Die deutsch-türkische Gayhane-DJane Ipek. Der weißrussische Pudel, der nur türkisch versteht. Türken und Gentrifizierung und Schwule und Punks und Ommas. Ein Beitrag zeigt auf der Oranienstraße, was Blinde sehen.
Mich interessiert natürlich der Geschichtsteil am meisten, in dem ich noch einiges erfahren hatte, was ich bisher nicht über die Oranienstraße wusste. Auch dass für das Interview mit mir, das ja ohne Kamera stattfand, extra ein Comics im Graphic-Novel-Stil gezeichnet wurde, finde ich klasse.
Ein bisschen fehlt mir in diesem Bereich aber ein begleitender Text, der die Geschichte der Straße chronologisch beschreibt, so dass man die viele Beiträge besser einordnen kann. Vor allem der westliche Teil der Oranienstraße wird da ziemlich vernachlässigt.
Trotzdem kann ich allen, die die Oranienstraße nicht aus eigener Erfahrung kennen, nur raten, sich ein bisschen Zeit zu nehmen und auf der Website durch die vielen Beiträge zu klicken. Und wer sie kennt, sollte erst recht reinschauen, denn sowohl die Darstellung, als auch die Beiträge sind es wert.
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