Schon zu allen Zeiten waren den deutschen Geheimdiensten die Linken viel suspekter als die Rechten. Egal ob Anarchisten, Sozialdemokraten oder Alternativies, deren Überwachung war stets intensiver und erfolgreicher, als die der extremen Rechten.
Dass es dabei nicht nur um die Beschaffung von Informationen geht, sondern auch darum, eine Gefahr erst aufzubauen, sieht man am Einsatz von Agents provocateurs. Einer der bekanntesten war V‑Mannes Urbach, der beim Sturm auf den Axel-Springer-Fuhrpark die Molotow-Cocktails mitbrachte, mit denen die Lieferwagen angezündet wurden. Er besorgte auch Schusswaffen, die dann ihren Weg in die militanten Gruppen fanden. Aber auch noch lange nach dessen Enttarnung ist der Berliner Verfassungsschutz bestrebt, seine Pfoten in die linken Gruppen zu stecken, völlig unabhängig davon, ob diese tatsächlich eine Gefahr für den Staat darstellen könnten.
Einer dieser Leute war auch “Pistolen-Piet”. Zu Zeiten der Hausbesetzerbewegung kam er über eine Gefangenen-Solidaritätsgruppe in die linke Szene. Er trat sehr hart auf, proletarisch, prahlte mit seinen Möglichkeiten und Kontakten. Und er bot allen möglichen Leuten an, Waffen zu besorgen. Ich lebte einige Wochen mit ihm zusammen in einer Wohngemeinschaft. Wir unternahmen gemeinsame Einbrüche in Läden und Kneipen und irgendwann wurde er enttarnt und ward nicht mehr gesehen.
Viel länger aber kannte ich Simon. Als wir uns das erste Mal trafen, hatte er gerade sein Abitur gemacht. Er war groß, blond, sexy und unheimlich lieb. Wir verliebten uns ineinander, politisch aber hatten wir sehr unterschiedliche Vorstellungen. Während er an einen Sozialismus a la DDR schwärmte, war ich auch damals eher der Sponti, organisiert bei den Autonomen. Aber das machte uns nichts aus, wir vögelten und diskutierten heftig und ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendwas nicht stimmte.
Ein Jahr später zog Simon nach Hamburg und als er wieder zurückkam, hatten wir uns nicht mehr viel zu sagen.
Irgendwann sprach mich jemand aus der Szene an, ich würde doch den blonden Simon kennen, was ich denn über ihn erzählen könnte. Ob ich mir vorstellen könnte, dass er für den Verfassungsschutz arbeitet. Das konnte ich natürlich nicht, jedenfalls nicht für die Zeit, als ich mit ihm zusammen war. Aber auch sonst eigentlich nicht.
Obwohl ich schon ein paar Spitzel habe auffliegen sehen, die zuvor ganz gut in die Szene gepasst hatten, Simon konnte ich da einfach nicht reindenken. Aber es ist wohl das Wesen eines solchen Menschen, dass er sich so gut verstellen kann. Zu der Zeit hörte man auch von Vera Wollenberger, die Opfer der Stasi geworden war — der auf sie angesetzte Spitzel war der eigene Ehemann!
Tagelang versuchte ich, Simon zu erreichen, um mit ihm darüber zu reden. Ich wollte ihn nicht zusammenscheißen oder gar schlagen, sondern einfach nur wissen, was stimmt. Und eventuell eine Antwort auf das Warum. Aber sein WG-Zimmer war leer, er war ohne eine Erklärung innerhalb einer Stunde ausgezogen. Keine Adresse, keine Telefonnummer, nichts.
Es war wohl schon so, dass Simon ein Spitzel des Verfassungsschutzes war, auch wenn ich es lange nicht glauben konnte. Und es hat mich schwer getroffen, weil ich mich nicht nur politisch hintergangen fühlte, sondern auch menschlich. War er schon während unserer Freundschaft ein Spitzel? Was hat er erzählt? Und was über mich?
Als ich ein paar Jahre später beim Berliner Verfassungsschutz Akteneinsicht beantragt habe, lautete die Antwort, dass es keine Akten gäbe, die sie mir zeigen könnten. Erklären wollte mir diese doppeldeutige Antwort niemand. Aber dass Akten existieren, weiß ich definitiv.
Andererseits hätte ich eventuelle Berichte von Simon sowieso nicht zu Gesicht bekommen. Denn anders als bei den Stasi-Akten werden den Opfern der Ausspähung durch den Verfassungsschutz die Namen der Täter nicht offengelegt.
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