Will ich eine Demokratie?

Demo­kra­tie = gut? Bin ich ein Demo­krat? Und was genau ist denn Demo­kra­tie? Wiki­pe­dia defi­niert das so: „Demo­kra­tie bezeich­net Herr­schafts­for­men, poli­ti­sche Ordnun­gen oder poli­ti­sche Systeme, in denen Macht und Regie­rung vom Volk ausge­hen, indem dieses an allen Entschei­dun­gen, die die Allge­mein­heit verbind­lich betref­fen, betei­ligt ist.“

Ob ich ein Demo­krat bin, weiß ich nicht. Die „Herr­schaft des Volkes“ würde ja voraus­set­zen, dass „das Volk“ eine einheit­li­che Meinung hat, was z.B. die Nazis mit ihrer Volks­ge­mein­schaft zu sugge­rie­ren versuch­ten. Aber eine einheit­li­che Meinung gibt es nicht in einem Land mit 82 Millio­nen Einwoh­nern. Daher ist es immer nur eine Herr­schaft einer Mehr­heit über eine Minder­heit. Und selbst das ist nicht rich­tig, es handelt sich ja nur um eine rela­tive Mehr­heit. Die kann durch­aus auch nur 30 Prozent betra­gen, wenn die Mehr­heit noch unter­schied­li­che Meinun­gen reprä­sen­tiert. Wenn man dieje­ni­gen berück­sich­tigt, die nicht zur Wahl gehen, kann diese „Mehr­heit“ sogar auf unter 20 Prozent rutschen.

Des „Volkes Meinung“ hat mir schon immer Angst gemacht. Zu oft habe ich bereits in jungen Jahren gehört, dass „bei Adolf“ vieles besser war. Zu oft bin ich belei­digt, bedroht, ange­grif­fen und auch verletzt worden, weil ich grüne Haare hatte, weil ich offen schwul gelebt habe oder weil ich einfach eine andere Meinung vertre­ten habe, als den Main­stream. Das war nicht nur früher so. Die oft beschwo­rene tole­rante Gesell­schaft heut­zu­tage ist Selbst­be­trug, das bekomme ich oft bei meinen Fahr­gäs­ten im Taxi mit. Da wird gegen Flücht­linge gehetzt, vom „Welt­ju­den­tum“ geschwa­felt (auch von Bundes­tags­mit­ar­bei­tern) und Moslems pauschal als Terro­ris­ten bezeich­net.

Die Zeitun­gen mit den großen Buch­sta­ben heizen die Stim­mung oft noch auf. Volkes Stimme wird im Fern­se­hen auch gern mit Befra­gun­gen auf der Straße unter­mau­ert. „Sind Sie auch der Meinung, dass man Flücht­linge viel schnel­ler abschie­ben sollte als bisher?“ – „Ja, man müsste sie alle abschie­ben!“
Dieses Mittel wird bei allen mögli­chen Fragen einge­setzt, über die Auswahl der gesen­de­ten Antwor­ten entschei­det dann die Redak­tion. Antwor­ten, die nicht in die Ausrich­tung der Sendung passen, werden eben nicht gesen­det. Wer so etwas sieht, dem wird sugge­riert: „Schau her, SO denken „die Deut­schen“.

Poli­ti­ker, die so tun, als würden sie die „Volks­mei­nung“ vertre­ten, nennt man Popu­lis­ten. Popu­lis­ti­sche Parteien erkennt man daran, dass sie gerne massen­kom­pa­ti­ble Themen aufgrei­fen, anhei­zen und als Waffe benut­zen. In der Praxis sind dies Themen, die sich gegen Minder­hei­ten oder Schwä­chere rich­ten. Beliebt sind derzeit die Hetze gegen Flücht­linge und Moslems, vorher waren es mal (angeb­lich faule) Hartz-IV-Empfän­ger, Grie­chen (eben­falls faul), grüne Spin­ner usw. Popu­lis­ten bezie­hen ihre Argu­mente aus der Gegner­schaft gegen bestimmte Grup­pen. Sie defi­nie­ren dadurch ihre eigene Volks­ge­mein­schaft. Posi­tive, fort­schritt­li­che Inhalte findet man dort eher nicht.

Zurück zur Demo­kra­tie: Dass sie keine Volks­herr­schaft ist, da das Volk unter­schied­li­che Meinun­gen hat, haben wir schon fest­ge­stellt. In der Vergan­gen­heit unse­res Landes und seiner Vorgän­ger wissen wir, dass die Demo­kra­tie nicht dage­gen gefeit ist, unde­mo­kra­tisch zu sein. Noch­mal Wiki­pe­dia: „Typi­sche Merk­male einer Demo­kra­tie sind freie Wahlen, das Mehr­heits­prin­zip, die Akzep­tanz einer poli­ti­schen Oppo­si­tion.“ Im Novem­ber 1932 wurde die NSDAP mit 33,1 Prozent als stärkste Partei im Reichs­tag bestä­tigt. Einige Wochen nach der Macht­über­gabe erhielt sie sogar 43,9 Prozent der gülti­gen Stim­men. Keine abso­lute Mehr­heit, aber eine rela­tive. Und ausrei­chend dafür, die Demo­kra­tie prak­tisch abzu­schaf­fen. Das ging plötz­lich ganz schnell.

Ob soge­nannte rechts­po­pu­lis­ti­sche Parteien heute die Demo­kra­tie abschaf­fen wollen, ist nicht ganz klar. Es gibt in ihnen unter­schied­li­che Strö­mun­gen, in denen sowohl Nazis, als auch gemä­ßig­tere Perso­nen wie christ­li­che Funda­men­ta­lis­ten, Stock­kon­ser­va­tive, vor allem aber auch Rassis­ten vertre­ten sind. Dies gilt wohl für die AfD in Deutsch­land wie für die FPÖ (Öster­reich), Ukip (Groß­bri­tan­nien), Fidesz (Ungarn), Front Natio­nal (Frank­reich) oder die Schwe­den­de­mo­kra­ten. Davon gibt es noch viele mehr und manche von ihnen stel­len in ihren Ländern eine rela­tive Mehr­heit oder sind sogar an der Regie­rung betei­ligt. Ihre Macht erhal­ten sie dadurch, dass sie gewählt werden. Der Natio­na­lis­mus ist Merk­mal all der rech­ten, rechts­po­pu­lis­ti­schen und rechts­extre­men Parteien und Bewe­gun­gen. Auch der nun beschlos­sene Austritt von Groß­bri­tan­nien aus der EU hat im Kern natio­na­lis­ti­sche Gründe.

Die fakti­sche Entmach­tung der bisher unab­hän­gi­gen Justiz und Gänge­lung der Presse durch die regie­rende PiS in Polen ist ebenso zu 37,6 Prozent Ergeb­nis von Volkes Wille wie die immer schnel­lere Entrech­tung von Flücht­lin­gen in Däne­mark und Schwe­den. Dort werden die Einrei­se­be­stim­mun­gen alle paar Wochen verschärft, offen­bar hat die rot-grüne Minder­heits­re­gie­rung Angst davor, dass die Bevöl­ke­rung sie bei der nächs­ten Wahl hinweg fegt.

Demo­kra­tie ist also eher ein Fähn­chen-nach-dem-Wind-hängen. Besser wäre es, wenn eine Regie­rung sich nicht danach rich­ten würde, was die Mehr­heit oder rela­tive Mehr­heit gerade denkt, sondern was nach bestimm­ten Grund­sät­zen besser ist. Unser Grund­ge­setz könnte da prima die Leit­li­nie vorge­ben: „Die Würde des Menschen ist unan­tast­bar. Sie zu achten und zu schüt­zen ist Verpflich­tung aller staat­li­chen Gewalt. Jeder hat das Recht auf Leben und körper­li­che Unver­sehrt­heit. Niemand darf wegen seines Geschlech­tes, seiner Abstam­mung, seiner Rasse, seiner Spra­che, seiner Heimat und Herkunft, seines Glau­bens, seiner reli­giö­sen oder poli­ti­schen Anschau­un­gen benach­tei­ligt oder bevor­zugt werden. Die Frei­heit des Glau­bens, des Gewis­sens und die Frei­heit des reli­giö­sen und welt­an­schau­li­chen Bekennt­nis­ses sind unver­letz­lich.“

Nicht nur erklär­ter­ma­ßen rechte Parteien versto­ßen gegen diese weni­gen Grund­sätze, sondern auch Sozi­al­de­mo­kra­ten, Grüne und Linke. Und vielen Bürgern sind sie eben­falls egal. Die persön­li­chen Vorur­teile sind ihnen wich­ti­ger als das Wohl­erge­hen ihrer Mitmen­schen. Bei Wahlen wird das doku­men­tiert.

Ich möchte keine Dikta­tur, keinen Ein-Parteien-Staat. Davon gab es schon viele und keiner von denen hat die Menschen­rechte respek­tiert. Und natür­lich ist es wich­tig, dass es auch Oppo­si­tion gibt, die unter­schied­li­che Sicht­wei­sen und Inter­es­sen vertre­ten kann. Wie es aber durch­zu­set­zen ist, dass Parteien mit menschen­ver­ach­ten­den, natio­na­lis­ti­schen und rassis­ti­schen Ansich­ten daran gehin­dert werden, an die Macht zu kommen, selbst wenn eine rela­tive Mehr­heit sie wählt, weiß ich auch nicht. Anstatt sich alle ande­ren Parteien geschlos­sen gegen sie stel­len, werden teil­weise deren Inhalte über­nom­men. Wenn die Mehr­heits­mei­nung in der Bevöl­ke­rung nach rechts rückt, gibt es zwei Möglich­kei­ten: Entwe­der die Parteien blei­ben ihren Grund­sät­zen treu, erklä­ren und vertre­ten sie offen­siv und versu­chen, die Rech­ten zu stop­pen. Oder aber, sie passen sich an, ein wenig mehr Natio­na­lis­mus hier, ein biss­chen rassis­ti­sche Ansich­ten dort, Gesetze verschär­fen, um den Rech­ten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Leider entschei­den sich die meis­ten für den zwei­ten Weg. Doch wer sich immer mehr anpasst und den Popu­lis­ten hinter dackelt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er eines Tages nicht mehr gewählt wird, weil er vom Origi­nal kaum noch zu unter­schei­den ist. Und wenn wir dann eine Gesell­schaft haben, die mit Demo­kra­tie nicht mehr viel zu tun hat.

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Am vergan­ge­nen Donners­tag blieb die beliebte Infor­ma­ti­ons­platt­form Wiki­pe­dia offline. Dazu hatten sich ein Teil der Autorin­nen und Autoren entschie­den, aus Protest gegen Teile der geplan­ten EU-Urhe­­ber­­rechts­­re­­form. Dieses Gesetz soll am 27. März vom Parla­ment der […]

3 Kommentare

  1. Ja ich will auch Demo­kra­tie, ich will keine AfD in den Parla­men­ten.
    Ich will aber auch nicht, dass ein Herr Draghi und ein Herr Juncker (von Fr. Merkel instal­liert) uns beherr­schen. Inso­fern habe ich großes Verständ­nis mit den Briten. Ich habe keine Lust mit faschis­to­iden Regimes wie in Ungarn, Polen, Slowe­nien in einem Boot zu sitzen. Ich brauch die nicht. Lasst uns wieder eine kleine EU machen und die ande­ren erst mal wieder lernen lassen, was sie eigent­lich wollen. Viel­leicht lernen sie dann, was sie wirk­lich wollen.

  2. Ich habe einmal von einem weisen Mann gelernt: “Demo­kra­tie” muss bedeu­ten, dass die Frei­heit des Einzel­nen nur so weit einge­schränkt wird, wie unbe­dingt Nötig, um die Frei­heit der Ande­ren zu garan­tie­ren. Das ist ein mühsa­mer Prozess, in dem die Gesell­schaft immer wieder an Normen und Werten basteln muss und Kompro­misse finden. Wahlen und Abstim­mun­gen sind dabei nur ein notdürf­ti­ges Mittel. Wich­tig sind der Schutz von Minder­hei­ten, die Menschen­rechte im Allge­mei­nen und ein korrup­ti­ons­freier Rechts­staat.

    So etwas will ich. Und du bestimmt auch.

    Bedau­er­lich ist, dass dieses Bild von Demo­kra­tie zuletzt von Leuten wie Helmut Schmidt ausge­tra­gen wurde, dass nun aber Schü­ler, Lehrer, Medien und Poli­ti­ker tun, als wären Abstim­mun­gen mit 51:49 der Inbe­griff der Demo­kra­tie. Das ist aber nur eine Kitsch­ver­sion, die sich vor allem für Demago­gen und Popu­lis­ten eignet. Ich halte es für gefähr­lich, dass das Bildungs­sys­tem dieser Kitschan­sicht nicht entschie­de­ner entge­gen­tritt.

    In der Türkei können wir gerade sehen, wie eine Mehr­heit eine große Minder­heit ins Gefäng­nis steckt, mögli­cher­weise foltert, mögli­cher­weise gegen alle Prin­zi­pien des Rechts­staa­tes bald zum Tode verur­tei­len wird. Herr E. nennt das Demo­kra­tie. Schlimm ist, dass so wenige dem entge­gen­tre­ten. Das hat mit Demo­kra­tie nichts zu tun, egal wie “demo­kra­tisch” er gewählt ist.

    Das Volk hat keinen Willen. Jeder Einzelne hat Rechte. Man kann versu­chen, Volks­ver­tre­ter zu wählen. Wenn das Bildungs­sys­tem gut ist, werden die ihre Arbeit hoffent­lich gut machen. Sobald aber die Regie­ren­den und gar die Volks­ver­tre­ter sich über­haupt darauf einlas­sen, das Volk über Fragen abstim­men zu lassen, die die Rechte von Menschen massiv einschrän­ken, ist es schon zu spät.

    Gedan­ken­ex­pe­ri­ment: Wenn eine Mehr­heit beschließt, eine Minder­heit einfach umzu­brin­gen, wie groß muss die Mehr­heit sein, damit dieser “demo­kra­ti­sche” “Volks­wille” ausge­führt werden darf? Reichen 50,0001% Muss es in diesem Fall eine Zwei­drit­tel­mehr­heit sein? Oder zur Sicher­heit drei Vier­tel? – Mich schau­dert, wenn man sich über­haupt auf solche Abstim­mun­gen einlässt.

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