Heult doch!

Sorry, aber irgend­wie kann ich nicht rich­tig mitlei­den. In Stutt­gart geht plötz­lich die Spie­ßer­welt auf die Straße, weil sie keine Baustelle vor der Tür haben will. Jetzt schreien sie plötz­lich. Nicht nur die, die auch schon in der Vergan­gen­heit genauer hinge­schaut haben und sich nicht alles gefal­len ließen. Nein, ich meine die ande­ren, die Eltern und Groß­el­tern, die jetzt ihre Empö­rung in die Fern­seh­ka­me­ras schreien, als wären sie schon immer kriti­sche Bürger gewe­sen und nicht die Spie­ßer, die einem hinter­her­ru­fen, wenn man bei Rot eine leere Straße über­quert. Wo waren sie denn, als im vergan­ge­nen Jahr die großen Schü­ler­pro­teste statt­fan­den, die Demons­tra­tio­nen gegen die Vorrats­da­ten­spei­che­rung, gegen die Verlän­ge­rung der AKW-Lauf­zei­ten?

Das glei­che in Berlin: Seit bekannt wurde, dass ab dem Jahr 2012 Flug­zeuge auch über die Reichen-Vier­tel von Wann­see und Dahlem flie­gen werden, gehen die Bürger dort auf die Straße. “Nein, wir wollen die Flug­zeuge nicht, sie sollen woan­ders lang flie­gen!” Jetzt malen sie Schil­der, demons­trie­ren, heulen in Kame­ras und jammern, dass der Wert ihrer Häuser sinkt.
Das ist nur noch pein­lich. Seit Jahr­zehn­ten flie­gen die Jets in Minu­ten­ab­stän­den direkt über die Dächer rund um den Kurt-Schu­ma­cher-Platz. Teil­weise rasen die Maschi­nen in nur 50 Metern Höhe über die Wohn­ge­biete, tausende Menschen sind davon stän­dig betrof­fen. So wie vorher auch schon in Tempel­hof und Neukölln. Aber das betrifft ja nur die Prole­ten, die sollen sich mal nicht so anstel­len. Dabei geht es bei den Flügen über Zehlen­dorf um Höhen von 2.000 bis 2.400 Metern, also gewal­tig mehr als das, was die Menschen in Reini­cken­dorf, Wedding und Pankow bisher erdul­den müssen.

Ich möchte damit nicht sagen, dass ich die Entschei­dun­gen der Poli­tik zu Stutt­gart 21 oder auch zu den Flug­rou­ten über der Stadt in Ordnung finde. Trotz der angeb­lich lange ange­kün­dig­ten Fakten, denn diese wurden bisher so verschlei­ert, dass man sie durch­aus als Lügen bezeich­nen kann.
Der “neue Bürger­pro­test” aber ist in meinen Augen nichts als eine egois­ti­sche Reak­tion. Die Damen und Herren Rechts­an­wälte, Profes­so­ren und Unter­neh­mer betteln um Mitge­fühl, weil sie sich künf­tig beim Beschnei­den ihrer Rosen­he­cken even­tu­ell gestört fühlen könn­ten.
Sorry, aber die Probleme in unse­rer Stadt sind andere. Solange es in Berlin mehr als 200.000 Arbeits­ose gibt, finde ich dieses Leiden auf hohem Niveau nur lächer­lich. Und warum sollen nun nicht auch mal dieje­ni­gen die Flug­zeuge hören, die für viele der Flüge verant­wort­lich sind?

Foto: Muss­kl­prozz, CC BY-SA 3.0

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Zufallstreffer

3 Kommentare

  1. Ach, das wollte ich nun nicht schrei­ben :)
    Find den Text ok, ist aber natür­lich wie so vieles ein zwei­schnei­di­ges Schwert. Zum einen ist es wahr: Ein Haufen Egois­ten beschwert sich erst, sobald es ihm selbst an den Kragen geht. Das ist im Übri­gen einer der Gründe, warum ich gerne reich wäre: Immer noch links sein und meckern, obwohl es mir egal sein könnte!
    Zum ande­ren bekom­men jetzt natür­lich zum Teil mal Leute Unter­stüt­zung, die diese schon lange gebraucht hätten. Da rede ich jetzt aller­dings auch eher von S21 als von Flug­rou­ten über Dahlem…

  2. Ich finde den Vergleich S21 und SXF unglück­lich.

    Bei S21 wurde den Bürgern über Jahre nicht die volle Wahr­heit gesagt. Die Planer und Poli­ti­ker haben in verdeck­ten Zirkeln die Planung voran­ge­trie­ben. Je mehr das Ausmaß den Bürgern klar wurde desto grös­ser wurde der Wider­stand. Dazu kam das Ausmaß der Finanz­krise, was den Bürgern auch die Augen geöff­net hat. Wenn es früher der Wirt­schaft besser ging, ging es auch dem Bürger besser. Heute berei­chert sich die Wirt­schaft immer mehr und den Bürgern geht es immer schlech­ter, müssen sogar noch für die Fehler der Bosse bezah­len. Die Käuf­lich­keit und Unfä­hig­keit der Poli­tik in diesem Spiel tut ihr übri­ges.

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