Hausnummerierung in Berlin

Noch heute gibt es vor allem bei Berlin-Besu­chern Probleme, wenn sie auf der Suche nach einer bestimm­ten Haus­num­mer sind. Mal läuft die Numme­rie­rung abwech­selnd rechts und links die Straße entlang, mal geht sie auf einer Stra­ßen­seite hin und auf der ande­ren wieder zurück. Und in manchen Gegen­den laufen sie quer durch die Blöcke, was vor allem in den östli­chen Satel­li­ten­städ­ten der Fall ist.

Das alles ist aber gar nichts gegen die Verhält­nisse, die vor über 200 Jahren geherrscht haben. Damals hatten die Häuser nämlich über­haupt keine Nummern. Wenn man jeman­den besu­chen wollte, musste man sich den Weg beschrei­ben lassen: “Fast am Ende der Fran­zö­si­schen Straße, rech­ter Hand, zwischen dem Brauer Kitzing und der Witwe Sutern, schräg gegen­über des Hauses mit den Wein­ran­ken”.

Dass dies vor allem wegen der stän­di­gen Ausdeh­nung der Stadt kein Dauer­zu­stand blei­ben kann, wurde auch den Stadt­obe­ren klar. Mitte des 18. Jahr­hun­dert gab es weit über 6000 Häuser in Berlin, wer sollte da noch einen Über­blick haben? Und so wurde disku­tiert und auspro­biert und als 1798 endlich eine reich­lich umständ­li­che Lösung gefun­den war, gab es bereits 7000 Gebäude. Wie diese aussah, erfah­ren Sie im anhän­gen Text von Stadt­prä­si­den­ten Eisen­berg, der aus dem Origi­nal ins heutige Deutsch über­setzt wurde.
Aller­dings ist anzu­mer­ken, dass diese Vari­ante gerade mal fünf Jahre hielt. Schon 1803 wurde das System wieder umge­wor­fen und die fort­lau­fende Numme­rie­rung inner­halb einer Straße einge­führt.

Entwurf zum Numme­rie­ren der Häuser in Berlin

Ein unge­mein verdienst­li­ches Werk unter­nimmt unsere Poli­zei, welcher wir schon viel Gutes und Heil­sa­mes zu verdan­ken haben. Sie ist mit dem Entwurfe beschäf­tigt, die Häuser unse­rer Stadt mit Nummern zu bezeich­nen. Ein sehr bedeu­ten­des Vorha­ben, für einen Ort von einer so großen Häuser­zahl, und wo bisher noch nichts derglei­chen statt­fand. Wie ange­nehm nicht bloß, sondern auch wie äußerst bequem, wie wahr­haft nütz­lich, wird es für jeden Frem­den sein, und für jeden Einwoh­ner dem einige Teile dieser großen Stadt immer fremd blei­ben werden, wenn er auf den erneu­er­ten und wohl­ge­form­ten Blechen an den Ecken jeder Straße ihren Namen lesen kann; wenn er um einzelne Häuser zu finden, deren Beschrei­bung nach der Lage immer schwer und oft unmög­lich und nie genau ist, sich bloß die Nummern dersel­ben zu merken braucht! Die Anga­ben der Wohnun­gen im Adress­ka­len­der z.B. geschieht nach den Namen des Eigen­tü­mers; dieser ist aber oft, zumal wenn er nicht auch selbst in dem Hause wohnt, sogar in der eige­nen Straße bei weitem unbe­kann­ter als der gesuchte Miets­mann. Bei allen Ankün­di­gun­gen, Nach­rich­ten usw. bedarf es künf­tig nur der Nennung einer Zahl. Doch die Sache ist zu einleuch­tend, um den öfter danach geäu­ßer­ten Wunsch hier noch umständ­li­cher auszu­füh­ren.

Hr. Präsi­dent Eisen­berg, welcher die Publi­zi­tät ehrt und beför­dert, erteilt von seinem wich­ti­gen Plane selbst Nach­richt und fördert mit edel­mü­ti­ger Beschei­den­heit das Gutach­ten des Publi­kums darüber auf. Wer über den Gegen­stadt nach­ge­dacht hat, und vorzüg­lich solche Enrich­tun­gen in ande­ren Städ­ten kennt, wird bald einige Entwürfe auf der Zunge haben; aber bei genaue­rer Über­le­gung auch finden, dass jede Art der Zählung mit eige­nen Schwie­rig­kei­ten verbun­den ist, und dass eine bestimmte Entschei­dung für eine Art mehr Vorteil gewährt, als ein unge­wis­sen Schwan­ken in den Grund­sät­zen. Nicht zu Vorschlä­gen, sondern zur Ausein­an­der­set­zung des Vorschla­ges selbst will ich von der mir erteil­ten Stimm­frei­heit mit ein paar Worten hier Gebrauch machen.

Gewöhn­lich werden die öffent­li­chen Gebäude nicht mitge­zählt. Allein, wie wenn sie in gera­der Stra­ßen­li­nie mit ande­ren Häusern stehen, welches selbst bei eini­gen unse­rer Kirchen Statt hat, z.B. der Garni­sons­kir­che, der Paro­chi­al­kir­che? Sollen sie in diesem Fall numme­riert werden; so macht es eine große Verwir­rung, wenn später sich erst Häuser an jede anrei­hen. Dem Wande­rer wird es ferner oft sehr zwei­fel­haft sein, ob ein Haus öffent­lich ist oder nicht, wie die Schul­ge­bäude, die Stall- und Maga­zin­ge­bäude, usw. Wie voll­ends, wenn ein Haus einmal seine Bestim­mung verän­dert, und auch dem Gebrau­che des Staa­tes oder des Publi­kums in Privat­hände über­geht und umge­kehrt? Wie, wenn mehrere solche von Beam­ten oder ande­ren Perso­nen bewohnte Staats­ge­bäude neben­ein­an­der liegen und doch keine Bezeich­nung ihr Auffin­den erleich­tert? Hier ist daher die Regel ange­nom­men, dass alle Gebäude mitge­zählt werden, vom Schlosse an, welches die Nummer 1 bekommt. Warum nicht?
Wohl niemand wird etwas dage­gen einwen­den können, dass die Stadt­mauer die Grenze macht. Was außer dem Tore liegt, gehört nicht zur eigent­li­chen Stadt; obgleich Neuvogt­land hier eine Ausnahme zu machen scheint. Es kann ja künf­tig für die Bezeich­nung der Häuser und Stra­ßen jenseits der Mauer beson­ders gesorgt werden.

Numme­riert man alle 6906 Häuser in Einem fort, so bekommt man große Zahlen. Fängt man mit jeder Stadt, und viel­leicht sogar mit jeder Vorstadt eine neue Nummer an, so erhält man einer­lei Zahlen fünf­fach oder zehn­fach. Wobei ist weni­ger Verwir­rung? Zudem laufen die Gren­zen mancher Städte so in einan­der, dass es schwer fällt, sich heraus­zu­fin­den z.B. die Neustadt und die Fried­rich­stadt in der Behren­straße; die Fried­rich­stadt und der Werder und Neuköln auf dem Spital­markte. Die Regel ist hier erwähnt, die Nummern ohne Unter­schied der Vier­tel fort­lau­fen zu lassen. Man hat dann nur eine Bezeich­nung zu machen und zu behal­ten, nicht zwei: Für das Quar­tier der Stadt, und für das Haus selbst.

Wie aber sollen jene fort­lau­fen? Es hat etwas Befrem­den­des, wenn Häuser die gerade gegen­ein­an­der­über liegen, in ihrer Nummer um hunderte, ja um ein halbes Tausend oder mehr noch, vonein­an­der abste­hen. Um dies zu vermei­den, kann man eine Straße durch­weg hinter­ein­an­der bezeich­nen, es sei nun hinauf und hinab, oder über­sprin­gend zum Gegen­nach­barn jedes Hauses; allein, wie kommt man dann zu den jene erste Straße durch­schnei­den­den Quer­stra­ßen? Offen­bar nicht anders als durch einen gewalt­sa­men Sprung, durch eine Zerrei­ßung aller Ordnung und alles Zusam­men­han­ges. Am Ende einer von zehn durch­schnit­te­nen Straße, kehrt man zu der ersten von diesen zehn zurück, nach deren Been­di­gung zu der zwei­ten usw.; sodann zu denen, welche jene erste wieder durch­schnei­den, darauf zu den Quer­gas­sen der zwei­ten usf.: in einer unun­ter­bro­che­nen Unter­bre­chung. Da herrscht nichts als Will­kür, und diese gebiert nichts als Verwir­rung. Ein nach Grund­sät­zen gere­gel­ter Plan erfor­dert durch­aus, dass nie und nirgend eine Zahl stille stehe, sodass man ihre nächste Folge eine Vier­tel­meile von dort suchen muss.
Deshalb ist hier zur Regel ange­nom­men, dass ohne Unter­bre­chung die Zahlen fort­lau­fen, und zwar zur rech­ten Hand des Suchen­den; wo eine Quer­straße eintritt, um die Ecke herum; immer weiter schrei­tend, damit nie eine Stockung oder ein Sprung oder auch nur ein Hin- und Herge­hen vorkomme. Frei­lich kehrt der Zahlen­weg dann nur spät wieder zu der ange­fan­ge­nen und immer aufs neue durch Quer­wege unter­bro­che­nen ersten Straße zurück, sodass ziem­lich benach­barte Häuser höchst verschie­dene Nummern erhal­ten; aber ein Blick auf den Bau der Straße zeigt ja auch, wie oft sie durch­schnit­ten werden muss. Die Nummern sind nicht ihrer selbst wegen, gleich­sam rein arith­me­tisch da, sondern zur Bezeich­nung der Häuser­rei­hen deren umbie­gen­der Lage sie folgen müssen. Nur jener Zusam­men­hang, wodurch keine Zahl plötz­lich aufhö­ret, ohne dass ein Schluss mich darauf brin­gen könnte, wo die nach­fol­gende stehen mag, ist für Verstand und Gedächt­nis unum­gäng­lich nötig: denn die Zerrei­ßung dessel­ben zerreißt auch meine Über­le­gung und meine Geduld. Was soll ich anfan­gen, wenn ich bis 629 fort­ge­le­sen habe, und alle Ecken um mich her mir nun 1053, 396, 4742 zeigen? Wie komme ich zu 630, welches ich suche?

Die Verfol­gung der Windun­gen unse­rer 270 Stra­ßen lässt sich auf mehr als eine Art bewerk­stel­li­gen. Die von Hrn. Präs. Eisen­berg vorge­schla­gene ist deut­lich und fass­lich: man braucht sich nur mit dem Büch­lein etwas bekannt zu machen, um die Methode der Zahlen­fort­schrei­tung einzu­se­hen; und noch leich­ter muss alles werden, wenn der von ihm vorläu­fig ange­kün­digte Grund­riss der Stadt von Hrn. Leut­nant Nean­der erschie­nen sein wird. Lässt sich Hr. Eisen­berg nun, auf diesen ersten Entwurf der bloß nach den Stra­ßen ange­fer­tigt ist, bald seinen verspro­che­nen zwei­ten folgen, worin die Häuser nach dem Namen der Eigen­tü­mer und nach der Folge der Zahlen verzeich­net sein werden, so besit­zen wir eine voll­stän­dige Anlei­tung zur Einsicht des ganzen Plans, ja gewis­ser­ma­ßen schon die bewerk­stel­ligte Zählung selbst, noch ehe die Nummern ange­hef­tet sind.

Im Ganzen, wie gesagt, scheint es mir ziem­lich gleich­gül­tig, welche Methode befolgt wird, wenn sie nur, wie die dem Publi­kum vorge­legte, offen­bar auf Nütz­lich­keit abzielt und in sich selbst konse­quent ist. Über einzelne Teile kann ich mir auf keine Weise eine Beur­tei­lung anma­ßen. Nur wage ich bei dieser Gele­gen­heit den Wunsch, dass die klei­nen Gassen welche noch keinen Namen haben, deren es in Berlin mehrere gibt, jede einen eige­nen Namen bekom­men möge.
Aber meine patrio­ti­sche Freude kann ich nicht verber­gen, dass unsere Stadt zu jedem Guten, welches ihr noch mangelt, so eifrig fort­schrei­tet. Hr. Präsi­dent Eisen­berg konnte den Einwoh­nern kein ange­neh­me­res Neujahrs­ge­schenk machen, als mit seinem heraus­ge­ge­be­nen Entwurf. Und der Name des verdienst­vol­len Mannes wird bei unse­ren spätes­ten Enkeln in geehr­tem Andenken blei­ben, solange noch eine Nummer an ihrem Hause steht.

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1 Kommentar

  1. Der Text ist origi­nal, aber nicht vom Poli­zei­prä­si­den­ten Eisen­berg selbst, sondern er ist ein Kommen­tar eines (unbe­kant­nen ?) Autors in den Berli­ni­schen Monats­blät­tern von 1798 zu einem vom Poli­zei­prä­si­den­ten vorge­leg­ten Entwurf einer Häuser­num­me­rie­rung, im glei­chen Jahr.

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