Kellerleiche IM

Es ist wirk­lich eine unend­li­che Geschichte, lange Jahre nach dem Ende der DDR tauchen noch immer Namen von eins­ti­gen Stasi-Spit­zeln auf. Während zahl­rei­che der Haupt­amt­li­chen heute frech in der Öffent­lich­keit auftre­ten, Veran­stal­tun­gen spren­gen und ihre eins­ti­gen Opfer verhöh­nen, verste­cken sich vor allem die “Inof­fi­zi­el­len Mitar­bei­ter” (IM), also dieje­ni­gen, die damals ihre Kolle­gen, Freunde, Nach­barn und manch­mal sogar Verwandte und Ehepart­ner bespit­zelt haben. Sie stehen mora­lisch auf der unters­ten Stufe, weil sie deren Vertrauen ausnutz­ten, sie ausspio­nier­ten und verrie­ten.
Im wesent­li­chen sind es drei Gründe, weswe­gen sich Leute zu solchen Spit­zel­diens­ten entschie­den haben. Viele taten es aus poli­ti­scher Über­zeu­gung, die meis­ten erhiel­ten dafür Geld, manche wurden von der Stasi erpresst. Warum auch immer jemand seine Mitmen­schen privat ausspio­nierte, jeder hatte seit dem Ende der DDR ausrei­chend Zeit, sich zu outen und seine Opfer um Verzei­hung zu bitten. Tatsäch­lich haben dies aber nur wenige getan, umso mehr wurden enttarnt, als im Jahr 2003 die “Rosenholz”-Dateien mit den Klar­na­men der Spit­zel auftauch­ten.
Immer wieder mal werden neue Fälle bekannt. Warum diese Angst vor der Wahr­heit? Es hat sich doch gezeigt, dass diese Leichen im Keller doch irgend­wann gefun­den werden. Und dass noch niemand deswe­gen gelyncht worden ist. Wer sich selber ohne Not outet, hat die Möglich­keit sich zu erklä­ren, auch einen Fehler einzu­ge­ste­hen. Vor allem aber kann er seinen Frie­den machen, braucht sich nicht mehr zu verleug­nen und über viele Jahre in Angst vor Entde­ckung zu leben. Er hat die Chance auf einen Schluss­strich. Leider nutzen nur wenige diese Möglich­keit und je länger man wartet, umso schwe­rer wird es. Wenn man sich aber erst nach seiner Enttar­nung erklärt, wird man nie wirk­lich glaub­wür­dig sein.
Ich kenne selber zwei ehema­lige IMs, einen seit Anfang der 80er Jahre, den ande­ren habe ich erst vor eini­gen Jahren kennen­ge­lernt. Der erste hat sich unmit­tel­bar nach der Wende geoutet, als noch nicht klar war, was ihm even­tu­ell blüht. Im Früh­jahr 1990 wuss­ten dann viele bescheid, dass er Berichte über sie geschrie­ben hatte. Die meis­ten haben wie ich den Kontakt zu ihm aufrecht erhal­ten, da er seine Beweg­gründe nach­voll­zieh­bar erklä­ren konnte. Der Fall ist inso­fern beson­ders, da die Berichte vor allem nach gemein­sa­men Auslands­rei­sen ins “nicht­so­zia­lis­ti­sche Ausland” geschrie­ben wurden und jeder wusste, dass es immer mindes­tens einen Judas gab. Der andere outete sich Mitte der 90er Jahre selber, nach­dem erste Gerüchte aufge­kom­men waren, als manche Opfer ihre Stasi-Akten gele­sen hatten. Er versuchte sich zu erklä­ren, er wäre damals erpress­bar gewe­sen, manche seiner Freunde vertei­dig­ten ihn danach sogar. Ich konnte seine Beweg­gründe nicht akzep­tie­ren, da es in erster Linie um mate­ri­elle Vorteile ging, wozu auch gehört, dass man sein Studium zuende machen kann. Aber auch dieser Mann hat deshalb niemals Repres­sa­lien erlit­ten, wurde nicht gekün­digt, nicht verprü­gelt. Ledig­lich einige Freunde haben sich von ihm abge­wandt.
Natür­lich würde ich mich nicht freuen, jetzt noch von alten Bekann­ten zu hören, dass sie mich damals für die Staats­si­cher­heit bespit­zelt haben. Ande­rer­seits möchte ich es wissen, um selber entschei­den zu können, wie ich damit umgehe. Anders ist es bei Leuten, die ich erst nach der Wende kennen­ge­lernt habe, da ist es mir rela­tiv egal. Wahr­schein­lich, weil ich nicht direkt betrof­fen bin. Ich weiß auch von ande­ren Bekann­ten und Kolle­gen nicht, was früher mal war. Und das ist auch nicht nötig.
Letzt­end­lich ist das Thema längst von der Geschichte über­holt worden.

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